Goal! Interview mit Fanbegleiter zur WM in Katar

AG Vielfalt und Toleranz im Gespräch mit unserem ehemaligen Schüler Kim Schu live aus Dubai

Am Mittwoch, dem 30. November 2022, sprachen Mitglieder der AG Vielfalt und Toleranz unter der Moderation von Nadine Arendt mit unserem ehemaligen Schüler Kim Schu, der sich zur Zeit vor Ort in der Betreuung von Fans im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft in Katar befindet.

AG Vielfalt und Toleranz: Hallo Kim, schön, dich wieder am Gymnasium Saarburg begrüßen zu können. Du bist gerade in Dubai und hast dich bereit erklärt mit uns per Videokonferenz über die WM und die Menschenrechte in Katar zu sprechen. Was ist sind deine Aufgaben vor Ort und wie hast du dich auf diese WM vorbereitet?

Kim Schu: Vielen Dank für die Einladung zu diesem Gespräch, an dem ich gerne teilnehme, nicht zuletzt deswegen, weil ich ein enge Verbundenheit mit dem Gymnasium Saarburg empfinde und gerne meine Eindrücke, die ich hier gewinnen kann, mit euch teilen möchte. Nach meinem Abitur 2014 studierte ich an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz Sportwissenschaften. Heute arbeite ich nebenberuflich als Selbstständiger im Sportmanagement und hauptberuflich als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Dozent und Doktorand an der Universität Mainz. Aktuell begleite ich 180 der insgesamt 60.000 Mitglieder des Fanclubs Nationalmannschaft. Unser zehnköpfiges Team ist hier zusammen mit den deutschen Fans in einem Hotel in Dubai untergebracht, von wo aus wir zu den Spielen der Nationalelf aufbrechen. Meine Aufgabe umfasst neben der Begleitung der Fans zu den Spielen auch die Reisebetreuung während touristischer Touren wie zum Beispiel zum Burj Khalifa. Im Rahmen meines Masterstudiums war ich bereits vor zwei Jahren in Katar und konnte mir einen eigenen Eindruck von der Situation vor Ort machen. Bereits während der Vorbereitung auf die WM in Katar kam die Frage nach den Menschenrechten vor Ort auf und in unserer Abteilung wurde viel in diesem Bereich nachgeforscht. Meine Meinung ist eine etwas andere als die, die in den deutschen Medien aktuell dargestellt wird. Vor zwei Jahren zeigte sich hier noch ein ganz anderes Bild, nun sind Fans aus der ganzen Welt hier und man sieht, dass sich einiges vor Ort entwickelt hat.

AG: Noch einmal einen Schritt zurück: Wie kamst du zu dem Job und was verdient man hierbei?

Kim: Als Freiberufler meldet man ein Gewerbe an und schreibt eine Rechnung. Mit der Agentur arbeite ich schon seit 2019 vertrauensvoll zusammen. Der Deal ist der, dass alles bezahlt wird (acht Flüge, Hotelzimmer, Verpflegung, Kleidung). Hinzu kommt mein Gehalt, welches ich grundsätzlich selbst definieren kann, aber mit der Agentur abgestimmt ist. Es ist viel Arbeit, ich begleite die Fans ja nicht nur zu den Spielen, sondern kümmere mich auch um deren Abendgestaltung oder begleite sie auf Ausflüge.

AG: Warum bist du in Dubai und nicht in Katar?

Kim: Katar ist ein sehr kleines Land und die Hotelkapazitäten in der Hauptstadt Doha sind begrenzt. Für unsere Fans zum Beispiel benötigen wir aber schon ein ganzes Hotel für uns alleine, welches besondere Anforderungen, wie zum Beispiel eine Public Viewing Area erfüllen muss. Daher fiel die Wahl auf Dubai. Man kann sich da natürlich die Frage nach der Nachhaltigkeit stellen, wenn man bedenkt, dass wir ja zu jedem Spiel extra hin- und zurückfliegen müssen. Da die Entfernung zwischen Katar und Dubai allerdings geringer ist als die Distanz zwischen manchen Spielorten innerhalb ehemaliger Austragungsstätten (z.B. bei den letzten beiden Weltmeisterschaften in Brasilien und Russland) ist der CO₂-Fußabdruck bei dieser WM in Summe tatsächlich – relativ gesehen – sehr gering.

AG: Viele Menschen boykottieren die WM ja, spiegelt sich dies auch in den Besucherzahlen wieder?

Kim: Was die Spiele der deutschen Mannschaft betrifft, so sind die Spiele komplett ausverkauft.

AG: Was ist mit „gekauften Fans“, gib es diese hier auch? Und wenn ja, wären die Stadien dann auch ausverkauft?

Kim: Das ist schwer zu sagen, es gibt natürlich auch bei den Spielen der deutschen Nationalelf Fans, die nicht aus Deutschland kommen, zum Beispiel Inder und Pakistani. Ob diese Fans „gekauft“ sind, kann ich nicht beurteilen. In diesen Ländern gibt es viele Fußballfans, die sich früh als Fan für eine Nationalmannschaft entscheiden, da sich die eigene Auswahl nicht für die großen Turniere qualifiziert.

AG: Irgendwie wirkt das künstlich… „Gekaufte Fans“, die Stimmung machen? Wie ist es wirklich? Echtes Anfeuern oder doch nicht so?

Kim: Selbst wenn 2.000, 3.000 „gekaufte Fans“ auf 60.000 Fans insgesamt kommen, hat dies keinen Einfluss auf die Atmosphäre. Die Stimmung in Katar ist gut, aber nicht unbedingt wegen der deutschen Fans. Im Spiel gegen Spanien waren auch viele Spanier dabei, im Spiel gegen Japan waren es die Japaner, die für die gute Atmosphäre gesorgt haben. „Gekaufte Fans“ machen keinen Unterschied.

AG: Hast du in deiner Jugend Fußball gespielt?

Kim: Ja, und ich spiele auch immer noch.

AG: Die „Fußballmutterländer“, zum Beispiel Brasilien, bringen ja jahrelange Leidenschaft und Fußballkultur mit. Wie fühlt sich die Fußballkultur Katars an? Es ist ja ein Land, in welchem Fußball bisher noch keine große Rolle spielte.

Kim: Katar ist erst seit 1971 eigenständig und das Land entwickelt sich gerade erst, auch im Fußball. Sie entwickeln gerade ihre Fußballkultur. Das sieht man auch an den Jungs auf der Straße, die gerne kicken. Auch wenn die Fußballkultur hier noch sich so ausgeprägt ist wie bei uns, sie entwickelt sich gerade.

AG: Ist es denn nicht sinnvoller, die WM an ein Land zu vergeben, in welchem die Strukturen, wie Hotels und Stadien, schon vorhanden sind? Eventuell hätte Katar auch mehr Zeit gebraucht, um sich vorzubereiten.

Kim: Auch ich bin der Ansicht, dass die Vergabe der WM 2022 an Katar ein Fehler war. Die Fußballliga ist schwach und es gibt nur eine kleine Bevölkerung. In dem Bestreben ein Big Player zu werden, wurde von jetzt auf gleich die notwendige Infrastruktur dafür hochgezogen. Es wurde dabei auch ein Nachhaltigkeitspaket für jedes einzelne Stadion entwickelt: das Stadion 974 wurde beispielsweise im Lego-System gebaut und wird nach der WM wieder abgebaut, ein anderes wird zu einem Einkaufszentrum umgebaut und nur das Khalifa-Stadion bleibt, wie es ist.

AG: Es ist sicher schwierig, die Nachhaltigkeitsaspekte unter einen Hut zu bekommen, ein hoher Preis sind sicherlich auch die verletzten Menschenrechte. War die WM hier eher kontraproduktiv oder auch eine Chance, darüber zu berichten. Wie siehst du das?

Kim: Ich bin 100 Prozent der Meinung, dass die unzumutbaren Zustände angesprochen werden müssen. Jeder einzelne, der auf den Baustellen gestorben ist, ist einer zu viel. Es klingt paradox, aber man kann die WM dazu nutzen, diese kulturellen und arbeitsrechtlichen Prozesse zu beschleunigen und die Situation zu verbessern. Auch große Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International sind der Meinung, dass ein Boykott keine Lösung ist. Hier hat sich tatsächlich auch schon einiges getan. Katar hat im Zuge der WM das traditionelle Kafala-System faktisch abgeschafft. Auch die Arbeitszeiten wurden limitiert. Unserer Kultur mit geregelten Arbeitszeiten ging ja auch eine Entwicklung voraus. Zwar ist Katar noch lange nicht so weit, sie sind aber dabei sich zu entwickeln und brauchen dafür noch Zeit. Sie wollen das Event dazu nutzen. Zu Recht gibt es Kritik und sie reagieren darauf.

AG: Was ist deine persönliche Meinung: Würde sich etwas ändern, wenn die WM oder ein anderes Großevent wieder nach Katar vergeben werden würde?

Kim: Ich bin mir sicher, dass sich Katar weiterentwickeln wird. In Dubai hat sich ja auch in eine westlich orientiert Richtung entwickelt. Dubai ist Katar noch einmal 10 Jahre voraus. Katars Strategie ist es, unabhängig von den begrenzten Rohstoffen zu werden und die finanziellen Mittel zu nutzen, einen Dienstleistungssektor aufzubauen.

AG: Mit Sicherheit ist die WM für Katar eine Chance, sich weiterzuentwickeln, so mit der Schaffung neuer Arbeitsgesetze. Inwieweit kann man von gesellschaftlicher Entwicklung sprechen in puncto LGBTQ+? Die FIFA hat ja gerade die „One Love“ Kapitänsbinde verboten und Homosexualität ist in Katar verboten.

Kim: Ich wäre persönlich auch dafür gewesen, das die Kapitäne die „One Love“-Binde getragen hätten. Die Regenbogenfahnen sind übrigens erlaubt. Aber es braucht extrem viel Zeit das altertümliche Weltbild zu verändern.

AG: Sieht man schon eine Entwicklung diesbezüglich von vor zwei Jahren zu jetzt?

Kim: Wie eben angesprochen, hat sich in Katar seit der Vergabe und insbesondere in den letzten zwei Jahren sehr viel getan. Sowohl infrastrukturell als auch in Bezug auf die Menschenrechte.

AG: Bleiben wir mal bei der Homosexualität. Sie ist ja angeboren und wenn man in einem Land wie Katar damit leben muss, resultieren daraus sicher psychische Probleme, da wird man doch nicht glücklich…

Kim: Stimmt, Homosexualität sollte in jedem Land dieser Erde anerkannt sein. In Katar ist das leider noch nicht der Fall. Das gab es aber auch vor gar nicht allzu langer Zeit bei uns in Deutschland. Die Homo-Ehe ist beispielsweise erst seit 2017 erlaubt. Ich hoffe sehr, dass sich Katar auch in diese Richtung entwickeln wird.

AG: Zusammenfassend lässt sich sagen, dass du natürlich viel mehr Verständnis für Katar aufbringst, weil du vor Ort bis und alle Facetten siehst. Und wir sehen: Manchmal braucht es einen langen Atem. Vielleicht hast du noch eine Message, die du an Deutschland, insbesondere die deutschen TV-Zuschauer, richten würdest.

Kim: Um seine eigene Meinung bilden zu können, sollte man sich Informationen aus vielen unterschiedlichen Quellen einholen. Wir vertreten hier in diesem Gremium sicherlich alle dieselben Werte und sind uns einig, wie die Zustände weltweit sein sollten. Wir müssen aber auch verstehen, warum manche Länder noch nicht da sein können, wo wir heute sind. Mein Motto: Diskutieren statt boykottieren.

AG: Herzlichen Dank für deine Zeit, insbesondere für die interessanten Eindrücke und deine persönlichen Einschätzungen live aus Dubai/Katar.

(Protokoll: Christina Berntsen)